Wir beginnen den heutigen Post mit einem gewagten Gedankenexperiment: Denken Sie doch mal völlig unvoreingenommen an das Wort "Spiel". Was fällt Ihnen dazu spontan ein? Sollten Sie darauf auf Konzepte wie "Spaß", "Vergnügen" oder dergleichen gekommen sein, dann wäre das nicht weiter überraschend.
Wenn Ihr erster Gedanke jedoch "Ernst" gewesen ist, dann mögen Sie entweder keine Spiele (das ist auch in Ordnung) - oder Sie haben sich in letzter Zeit vielleicht öfter mit "Serious Games" beschäftigt. Die "ernsthaften Spiele" sind hier ja schon seit einigen Jahren ein ziemlicher Renner. Warum eigentlich? Und wie geht das zusammen mit dem Spielen und Lernen?
Grundsätzlich ist hier Differenzierung gefragt.
Lernen kann durchaus spielerisch sein. Denken Sie an Rollenspiele in Kommunikations- und Führungskräftetrainings. Oder an Flugsimulatoren. Es ist durchaus sinnvoll Sinn, ein Kundengespräch nachzuspielen - oder sich als angehender Pilot nicht sofort lebensgefährlichen Situationen auszusetzen. Man erlangt Kompetenzen in einem ("Spiel"-)Raum, der durchaus Ähnlichkeiten mit der Realsituation aufweist, nur eben ohne die mit dieser verbundenen Risiken. Spielen im Sinne von "so tun als ob" ist stets Bestandteil von Lernprozessen. Die Kindheit der meisten Menschen ist voller solcher spielerischen Lernprozesse, in denen man phantasievoll und risikoarm realweltliche Situationen der Zukunft ausprobieren kann.
Das wissen auch die Pädagogen: Im Jenaplan z.B. zählt das Spiel zu den Urformen des Lernens - und Sprach-, Konzentrations- Aufmerksamkeits- oder auch Bewegungsspiele erfüllen wichtige didaktische Funktionen, tragen zur Konsolidierung von Gelerntem ein, entwickeln soziale Kompetenzen etc. Diese Spiele müssen aber nicht zwingend "serious" sein. Im Gegenteil: Spaß motiviert ja.
Mit "Serious Games" ist aber auch nicht zwingend spaßfreies Spielen gemeint. Sondern es geht vordergründig um Computerspiele. Genau die aber stehen oft unter dem Verdacht, pädagogisch gar nicht so wertvoll zu sein. Und da sollte man genauer hinschauen. Denn mitunter basieren Serious Games auf den technischen und konzeptionellen Grundlagen existenter Computer- und mitunter auch Brettspiele, deren Konzepte und Metaphern zumeist keine Realität abbilden sollen, wollen oder können. Auf dieser Basis dann eine praxistaugliche Lernstrategie zu entwickeln, ist nicht per se aussichtslos, aber schon ein wenig weit hergeholt.
Zumindest kann es ziemlich kompliziert werden. Ein überspitztes Beispiel: Wir haben Tetris in der Schublade, und Sie suchen ein Führungskräftetraining. Wussten Sie, dass das formschlüssige Stapeln verschiedenfarbiger Teilchen eine exzellente Metapher für die Koordination multikultureller Projektteams ist? Da hätten wir doch etwas für Sie, das diesen Kernbereich von Führungshandeln nicht nur thematisiert, sondern unmittelbar erleben lässt. Und schön bunt ist es außerdem. Verkaufsargumente dieser Art sind mir in der Tat schon untergekommen.
Der Lernerfolg, so ist oft zu hören und zu lesen, stellt sich beim Abschluss eines Levels ein. Also drauflos daddeln, bis das Level geknackt ist. Das kann 5 Minuten dauern, aber auch 5 Stunden. Huch, jetzt hat es plötzlich geklappt. Geil. Aber warum eigentlich? Keine Ahnung...
Was bei solchen Spielen häufig fehlt, sind Analyse- und Reflexionsmöglichkeiten, die für das realweltliche Handeln nützlich und zielführend sind. Zu wissen, dass er den Flieger im ersten Versuch geschrottet und im zweiten sicher gelandet hat, reicht dem angehenden Piloten ja auch nicht. Vielmehr muss er wissen, wieso es im ersten Versuch nicht geklappt hat - und im zweiten dann doch. Natürlich ist es möglich, dass er das nach vielen Versuchen auch selbst herauszufinden vermag. Das aber ist wiederum eine Frage der Effizienz: Das induktive Prinzip ist zwar eine Grundlage der Evolution, aber manchmal geht es eben einfach viel schneller und einfacher, wenn man schon vorher weiß, wie es geht. Dass man den Iron Man besser gewinnt, ohne unmittelbar zuvor eine Flasche Likör ausgetrunken zu haben, muss man nicht unbedingt im spielerischen Selbstversuch erfahren.
Was ich damit sagen will: Serious Games sind eine komplexe Sache. Sie haben in einigen Bereichen durchaus ihre Berechtigung, aber sie sind keineswegs ein Patentrezept für e-Learning. Oft ist ein klassisches Training zielführender und effizienter; überdies müssen Reflexion und Transfer im Anwendungskontext konzeptionell berücksichtigt werden; wenn nicht im Spiel selbst, dann durch begleitende Aktivitäten. Und nicht zuletzt: so ein Serious Game kann als Individualentwicklung ganz schön teuer werden.
Eng mit "Serious Games" verbunden (aber nicht dasselbe) ist das Thema "Gamifikation". Darüber reden wir aber ein andermal.
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