So, wir machen jetzt mal einen e-Learning-Kurs über Thema XYZ. Der Fachexperte schickt uns eine 132-seitige Präsentation (in der selbstverständlich ALLES wichtig ist), und schon kann es losgehen: Inhalte sortieren, formatieren, ein paar Übungen dazu - und fertig ist der Content. So oder ähnlich geschieht das häufig in der Praxis. Was dabei oft übersehen wird: Lerner und - vor allem - Lernziele.
Was sind Lernziele?
Wenn es um Lerner und Lernziele geht, dann nicht, um den Content möglichst hip und stylish anzubieten, sondern darum, zu wissen, wo die Reise beginnt - und wohin sie führen soll. Ein alter Grundsatz der Erwachsenenbildung gemahnt, den Teilnehmer dort "abzuholen, wo er steht". Und das Ziel der Reise sind Lernziele.
Ziele sind antizipierte Ergebnisse. Das klingt banal, wird in der Praxis aber gerne ignoriert oder schlampig gehandhabt. Ein Lernziel ist nicht: "Wir behandeln das Thema XYZ", sondern: "Der Lerner kann/weiß/erinnert XYZ, kann XYZ im Kontext ABC anwenden, anderen erklären usw." Alle Instructional Designer haben schon mal was von einer Lernzieltaxonomie gehört, die von einem Herrn Bloom erfunden wurde. Der ordnete (kognitive) Lernziele ihrer Komplexität nach, angefangen mit "kennen" und "verstehen" über "anwenden" und "analysieren" hin zu "Zusammenführen" und "Evaluieren".
Außer den kognitiven gibt es auch noch andere Arten von Lernzielen, z.B. affektive und psychomotorische. Die sind aber fürs e-Learning meistens nicht unmittelbar relevant.
Selbstverständlich kann man Ziele auch noch nach ihrer Konkretheit einordnen. Es gibt Leitziele, Richtziele, Fernziele, Grob- und Feinziele usw. Die können auch mal sehr ungenau sein, da eben weit weg. Lernziele im eigentlichen Sinne sind aber operationalisierbar. Oder anders gesagt: wir müssen sie operationalisieren, wenn ihre Definition etwas bringen soll.
Lernziele operationalisieren
Also hin und wieder findet man in e-Learning-Anwendungen schon mal Lernziele vor. Korrekt operationalisiert sind sie aber in den seltensten Fällen. Mit "Operationalisierung" meint man die "Übersetzung" eines (relativ abstrakten) Lernziels in konkrete und beobachtbare (!), also nachprüfbare Merkmale bzw. Verhaltensweisen.
Das Lernziel "Der Teilnehmer kann die Spielregeln von 'Mensch-ärger-dich-nicht' anwenden" wäre demnach in konkrete Merkmale zu übersetzen: die Anfangsaufstellung, Einsetzen, Rausschmeißen, Würfeln usw. Hat man diese Elemente beieinander, kann man sie auch schön in Beziehung setzen und Lernsequenzen/-bausteine entwickeln. Dafür gibt es ganz verschiedene Ansätze; rauskommen soll aber immer dasselbe: das Lernziel.
Um herauszufinden, ob es geklappt hat, bedarf es also letztlich einer Lernzielkontrolle. Das ist immer eine Herausforderung, denn etwas "zu können" heißt eigentlich, es immer zu können. Das können wir aber nicht nachprüfen, also müssen wir uns auf Indikatoren verlassen, die nahelegen, dass es eigentlich immer klappen sollte. Wenn z.B. ein Lerner dreimal in verschiedenen Kontexten bewiesen hat, dass er Würfelaugen zählen und auf dem Spielbrett umsetzen kann, dann sollte man beruhigt davon ausgehen können, dass er das mit dem Würfeln verstanden hat und anwenden kann.
Lernziele sind praktisch
Lernziele zu definieren ist meistens überhaupt nicht schwer. Aber es kann unheimlich nervig sein. Man könnte ja in der gleichen Zeit schon dreißig bunte Folien gebaut haben. Das fühlt sich besser an und ist produktiver.
Aber: Wer mit Lernzielen arbeitet, startet langsamer, aber holt die anfänglich investierte Zeit ganz schnell wieder raus. Lernziele und Indikatoren sind ein super Fahrplan für die Strukturierung von Inhalten, die Entwicklung von Übungen und den "roten Faden". Und wer den "roten Faden" kennt, der kann auch wichtige von nicht so wichtigen Informationen unterscheiden, Contents dementsprechend layern, reduzieren und an das Zielpublikum/die Lernsituation anpassen.
Wer denkt, dass Lernziele mehr etwas für akademische Grundsatzdiskussionen sind, liegt falsch. Richtig dimensioniert und praktisch angelegt, sind Lernziele eine Arbeitshilfe und ein Tempomacher.
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